Die formlose Form in einem Zen Koan
- Sandra Moebus
- 12. Jan.
- 2 Min. Lesezeit
Ein Koan aus dem Zen lautet:
"In einem Brunnen, der nicht gegraben ist, plätschert’s aus einer Quelle, die nicht fliesst; jemand ohne Schatten oder Gestalt schöpft dort Wasser."
Koans sind Worte, welche durch direkte Erfahrung verstanden werden sollen. Sie sollen somit die Kraft enthalten, die Lesenden oder Hörenden zu tiefen eigenen Erkenntnisse aus den innenwelten zu führen, wie zum Beispiel den Schüler Seppō. Koans werden darum auch Kehrworte genannt.
Als ich dieses Koan das erste Mal las, habe ich nur Stille in mir empfunden. Es war für mich, als würde mir diese Stille ganz ohne Worte den Sinn der Worte mitteilen. Eine Kommunikation von einem tiefen Wissen zu einem anderen.
Die Aussagen in diesem Koan mit unbekannter Autorenschaft erscheinen zunächst paradox! Der Geist springt sofort an und sagt "Das gibt es doch nicht": Es gibt keinen Brunnen, der nicht gegraben ist, es gibt keine Quelle, die plätschert obwohl sie nicht fliesst. Und jemand ohne Schatten oder Gestalt kann kein Wasser schöpfen! Der Geist lacht über die Bilder in diesem Koan und gleichzeitig verzweifelt er daran, diese zu lösen. Somit sendet uns der Geist eindeutig eine Fehlermeldung - wie so oft bei Koans! Denn das ist ja der Sinn der Sache, denn wir sollen diese Sprüche durch unsere Erfahrung lösen und nicht mit dem Geist.
Also worum geht es bei diesem Koan? Es weist auf eine tiefere Ebene hin, die es durch Erfahrung zu erkennen gilt. Im Zen wird Zazen geübt, das heisst diese Koans werden in der Sitz-Meditation so lange verinnerlicht, bis eine für den Lehrer oder die Lehrerin zufriedenstellende Antwort gegeben wird.
Bei mir ist es in der Regel anders. Die Antworten auf meine Lebensfragen oder auf Koans erreichen mich oft in der gedanklichen Stille, aber in der körperlichen Aktivität, zum Beispiel beim Abwaschen oder dem Sortieren von Dokumenten, wie ich es auch immer wieder in meinem Buch "Erleuchtung mit 39" beschreibe.
Dieses Koan weist für mich auf die "formlose Form in einem Zen Koan" hin, die im Zen immer wieder angesprochen wird. Es spricht die tiefere Ebene des Lebens und des Seins im Ganzen an und stellt sie durch diese paradoxen Aussagen dar. Für mich ist es die Beschreibung des letzten grossen Geheimnisses des Lebens und des Seins, was diese Worte darstellen. Es weist auf die Kraft, die aus dem Urgrund emporsteigt und sich in unserem Leben Bahn bricht.
Was stellt es für dich dar?
